Der Tagesspiegel, 10. September 2015
"Chaos können wir nicht gebrauchen"
Herr Botschafter, ist Ägypten ein sicheres Land?
Ja,
das ist es! Auch bei uns gab es zwar hier und da, wie in vielen anderen
Länder auch, einige Vorfälle. Doch im Vergleich zur Situation in
unseren Nachbarländern ist Ägypten ein Ort der Stabilität.
Keine Probleme?
Wir haben
durchaus Probleme in einigen abgelegenen Gegenden, im Westen an der
libyschen Grenze zum Beispiel und im Norden des Sinai. Aber kein Land
ist immun gegen Terrorismus. Wir geben uns viel Mühe, diese Bedrohung zu
bekämpfen.
Wenn Ägypten ein sicheres Land ist, wie erklären Sie dann, dass am Wochenende während eines angeblichen Anti-Terroreinsatzes zwölf Touristen und Ägypter von Soldaten getötet wurden?
Das
war ein sehr trauriger, ein schlimmer Unfall. Es tut uns leid, dass es
zu diesem Fehler gekommen ist. Wir entschuldigen uns bei den
Hinterbliebenen und trauern mit ihnen. Die Untersuchung zur Aufklärung
des Vorfalles dauert an. Ich will den Ergebnissen nicht vorgreifen.
Die
Behörden scheinen die Sicherheit zumindest in einigen Teilen des Landes
nicht mehr gewährleisten zu können. Die Kontrolle über den Sinai zum
Beispiel bereitet Kairo erhebliche Probleme, oder?
Wenn
ich über den Sinai spreche, ist eine kleine, begrenzte militärische
Sperrzone im fernen Nord-Osten gemeint, nahe dem Gaza-Streifen. Während
die Muslimbruderschaft an der Macht war, wurden dort ausländische
Kämpfer zusammengezogen. Männer aus Afghanistan, Pakistan und anderen
Ländern. Ihnen wurde von Terroristen versprochen, dass sie als
„Gotteskrieger“ in den Himmel kommen. Jetzt müssen wir mit dem Problem
fertig werden. Unser Militär versucht, durch intensive Einsätze dieses
Gebiet zu säubern. Aber das dauert eben seine Zeit.
Wie sollte der Anti-Terrorkampf aussehen?
Zunächst
muss man festhalten: Extremismus ist Extremismus ist Extremismus. Es
gibt keinen „moderaten“ Terror. Deswegen müssen wir alle gemeinsam gegen
die Terroristen kämpfen. Dabei darf man sich nicht nur auf den
„Islamischen Staat“ konzentrieren, sondern muss alle Extremisten-Gruppen
im Blick behalten. Denn beim Terror hängt alles mit allem zusammen. Für
uns ist es deshalb wichtig, auch die Muslimbrüder zu bekämpfen. Sie
sind Teil eines hässlichen Phänomens, gegen das wir konsequent vorgehen
müssen.
Menschrechtsorganisationen kritisieren, dass
diese Art „Konsequenz“ in Ägypten Menschenrechtsverletzungen und Willkür
zur Folge hat…
Bei allem Respekt für die
Menschenrechtsorganisationen: Diese Gruppen haben keine Ahnung, was in
Ägypten vor sich geht. Auch wir machen Fehler. Aber es stimmt nicht,
wenn behauptet wird, wir würden die Menschenrechte missachten. Viele
Terroristen sind in unserer Region aktiv. Die größte Herausforderung
besteht darin, eine Balance zu finden zwischen dem Kampf gegen die
Extremisten und der Achtung der Grundrechte.
Es gibt
Menschenrechtsaktivisten, die seit Monaten im Gefängnis sitzen. Aber die
meisten haben sich nichts zu Schulden kommen lassen…
Wenn
einige Menschen glauben, dass sie einfach so chaotisch und ohne Regeln
zu beachten demonstrieren können, dann liegen sie falsch. Wir haben ein
Gesetz erlassen, das den legalen Protest regelt. So wird das in Europa
auch gehandhabt. Dagegen willkürlich zu demonstrieren, ist eine
Straftat. In Ägypten gelten Gesetze, die zu respektieren sind. Chaos
können wir auf dem Weg zur Demokratie nicht gebrauchen.
Kritische Berichterstattung wäre ein wichtiger Schritt Richtung Demokratie. Doch Journalisten müssen mit vielen Restriktionen kämpfen. Wie passt das zusammen?
Ich gebe zu, dass es hin und wieder Konflikte gab. Aber die kann man nicht verallgemeinern.
Und was ist mit den Urteilen gegen die Mitarbeiter des Senders Al Dschasira, die wegen angeblich falscher Berichterstattung zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden?
Man
muss die in Ägypten geltenden Gesetze zur Ausübung des Journalismus
beachten. Die Al-Dschasira-Reporter haben gegen ägyptische Gesetze und
Regeln verstoßen und nicht die erforderliche Akkreditierung besessen.
Deshalb wurden sie vor ein ägyptisches Gericht gestellt, dessen Urteile
zu respektieren sind, zumal die Beschuldigten einen ordentlichen
Rechtsbeistand hatten und sie alle Garantien eines fairen Verfahrens
einschließlich einer Berufungsinstanz genossen haben. Wir alle sollten
die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung als wichtige
Elemente der Demokratie anerkennen.
Apropos Demokratie: Mitte Oktober beginnen die Parlamentswahlen. Welchen Stellenwert hat das für Ägypten?
Das ist ein weiterer großer Schritt Richtung Demokratie.
Ändern die Wahlen etwas an den umfassenden Machtbefugnissen von Präsident Abdel Fatah al Sisi?
Unser
Staatschef regiert nicht allein, sondern im Rahmen der Verfassung.
Außerdem hatten wir es bislang mit einer Sondersituation zu tun, weil es
kein Parlament gab. Doch bis Dezember werden wir nun eine Legislative
haben und damit ein normales demokratisches Land sein.
Gehört
es zur Normalität, dass Ägypten nach vier Jahren wieder einen
Botschafter nach Israel entsendet und der jüdische Staat hat seine
Botschaft in Kairo wiedereröffnet?
Wir haben mit Israel
einen Friedensvertrag und halten uns an die Vereinbarungen. Nicht mehr
und nicht weniger. Wir rufen allerdings Israel als Besatzungsmacht dazu
auf, seiner völkerrechtlichen Verantwortung entsprechend endlich etwas
gegen die humanitäre Katastrophe im Gaza-Streifen zu unternehmen. Die
Blockade muss umgehend enden.
Aber Ägypten hat doch auch die Grenze zum Gazastreifen dichtgemacht…
Das
stimmt nicht. Wir öffnen regelmäßig die Grenze. Der Zugang über Rafah
ist ohnehin nicht für Güter gedacht, sondern nur für Fußgänger und
humanitäre Zwecke.
Israel und Ägypten haben mit der islamistischen Hamas einen gemeinsamen Feind. Wäre es da nicht besser zu kooperieren?
Die
Situation im Gaza-Streifen ist sehr schwierig. Die Hamas ist in
Palästina ein wichtiger Akteur. Und die Besatzung durch Israel ist zum
großen Teil an der komplizierten Lage schuld. Sie muss enden. Allerdings
gibt es zweifellos auch einen Riss in der palästinensischen
Gesellschaft. Die nationale Versöhnung zwischen der Hamas und der Fatah
von Mahmud Abbas lässt weiter auf sich warten.